Fynn Kliemann über Therapie, Altern und Frank Thelen

Als „Heimwerkerking“ startete Fynn Kliemann 2009 einen eigenen Youtube-Kanal. Seitdem hat er den Bauernhof „Kliemannsland“ gegründet, zwei Alben herausgebracht und verkauft faire Mode in seinem Onlineshop. Am 17. Dezember erscheint sein drittes Album „Nur“ – ausschließlich digital und als limitierte EP. Volontärin Eva-Maria Gey hat mit Fynn Kliemann gesprochen.

Eva: Nächste Woche erscheint dein neues Album „Nur“. Wie fühlt sich das für dich an?

Fynn Kliemann: Generell habe ich davor immer tierisch Schiss und hasse dieses Release-Gefühl, dass die ganze Welt plötzlich hören kann, was ich mir da ausgedacht hab. Das ist als wenn auf einmal dein Tagebuch geleakt wird und du das auch noch selbst im Bus liegengelassen hast – selber Schuld. Jede Geschichte auf jedem einzelnen Song hab ich in irgendeiner Form erlebt. Aber in diesem Fall geht’s, weil es Remixe sind. Ich hab die Songs ja schon mal rausgebracht, es wurde alles schon gesagt. Das nimmt ganz viel Druck raus.

Eva: Wie lange hast du an der Platte gearbeitet?

Fynn Kliemann: In diesem Fall war ich eher Dirigent. Ich hab mit zwei Pianisten und meinem Produzenten die Piano-Seite gemacht und dabei nur gesagt, hier muss der Part anders, das muss so – dirigiert eben. Für die Remix-Seite habe ich nur die richtigen Leute gefragt, ob sie Lust haben das zu produzieren. Insgesamt hat es etwa ein Jahr gedauert: ein halbes Jahr die Musik und das andere halbe Jahr alles drumherum – die Vinyl bearbeitet, Texte gesetzt, das Lager vorbereiten und so weiter.

Eva: Der Entstehungsprozess war also dieses Mal komplett anders?

Fynn Kliemann: Auf jeden Fall, das hatte nichts mit einer normalen Albumproduktion zu tun. Die anspruchsvollste Aufgabe bei der Produktion ist für mich das Schreiben. Da bin ich ein Jahr allein in meinem kleinen Studio und schreibe jeden Text und singe alles ein. Gerade der Text ist anspruchsvoll, da muss man in einen bestimmten Modus kommen. Dieser krasse Prozess ist diesmal weggefallen. Es gibt zwei Aufgaben bei der Produktion: Beat und Text. Text ist wie eine nicht enden wollende Therapiesitzung mit dir selbst. Das macht mir gar keinen Spaß und ich bin währenddessen schlecht drauf. Aber ich habe das Gefühl es muss dann raus. Der andere Part mit dem Musik produzieren macht mir mega Bock. Es besteht also aus dem Coolsten und dem Schlimmsten. Dieses Mal hatte ich nur das Coole.

Eva: Wonach hast du entschieden, welche Songs du aufgreifst?

Fynn Kliemann: Bei der Piano-Seite kann man ganz gut sortieren, welche Melodien geeignet sind und welche nicht. Wir haben geschaut, was sind die großen Melodien der letzten Alben. Und bei den Remixen haben das die Leute selbst entschieden, die sie produziert haben.

Eva: Spielt die Reihenfolge der Songs auf dem Album eine Rolle?

Fynn Kliemann: Bei der Pianoseite schon, da sind auch Übergänge. Ähnlich wie bei „Nie“ und „Pop“ wird eine weiterführende Geschichte erzählt. Bei den Remixen weniger, weil es ja ein zusammengeworfenes Konstrukt ist.

„Der Selektionsprozess des Todes“

Eva: Wie hast du entschieden, wer die Songs remixed?

Fynn Kliemann: Ein paar Leute waren auf meiner Wunschliste, die hab ich angefragt. Ein paar andere waren einfach da, die kenne ich und hab vorher schon mal mit ihnen darüber gesprochen. Ich hab ihnen die Tracks gezeigt und gefragt, ob ihnen davon was gefällt und ob sie das machen wollen.

Eva: Gibt’s einen Song, der für dich eine besonders herausragende Rolle spielt?

Fynn Kliemann: Es ist eine blöde Antwort aber alle am Ende des Tages. Die sind da ja nicht ohne Grund drauf. Bei der Auswahl für das Album „Nie“ hatte ich 200 bis 400 Skizzen für Songs. Daraus hab ich zehn ausgewählt – der Selektionsprozess des Todes. Es bleibt nichts mehr übrig von all den Sachen, an denen du ewig gearbeitet hast. Bei „Pop“ genauso, von 100 Songs sind 12 draufgekommen. Die Songs auf „Nur“ sind schon die elementare Basis der letzten Jahre.

Eva: Hast du schon etwas Feierliches für den Release geplant?

Fynn Kliemann: In der Pandemie gibt’s das traurigerweise nicht. Normalerweise kenne ich das anders, für „Nie“ hatten wir eine geile Release-Party in Hamburg. Jetzt ist die Hauptsache, dass sich keiner ansteckt und alle gesund bleiben.

Fynn Kliemann trägt ein dunkles Shirt, eine lange Kette und schaut direkt in die Kamera.
Fynn Kliemann. (Foto: Samuel Mindermann)

Eva: Was steht derzeit abseits der Musik bei dir an?

Fynn Kliemann: Wir machen gerade die „Ldgg“-Geschichte („Lass dir gut gehen“). Dafür haben wir überall in Deutschland angefangen Immobilien zu kaufen und zu vermieten. Dahinter ist ein soziales Experiment. Du kannst sie zu einem Festpreis mieten. Alles, was du on top zahlen möchtest, geht in einen Pott und davon können Leute Urlaub machen, die sich sonst keinen leisten können. Daran habe ich das letzte Jahr sehr viel gearbeitet. Im Kliemannsland ist auch viel passiert, die Faire-Klamotten-Produktion ist gigantisch gewachsen. Es passiert eine ganze Menge.

Eva: Was hast du für 2022 geplant?

Fynn Kliemann: Dieses „Ldgg“-Thema wird richtig groß. Wir sind jeden Tag auf der Suche nach neuen Buden und stellen viel ein. Dann will ich abhauen. Ich möchte für ein paar Monate nach Frankreich ziehen. Ich baller jetzt seit zehn Jahren bis auf den Kurzurlaub dieses Jahr in Frankreich. Die Arbeit macht mir mega Bock aber es ist an der Zeit mal wieder kurz abzuhauen und klarzukommen. Klingt blöd aber wenn ich nichts mache, mache ich am meisten.

Weniger reden, mehr machen

Eva: Wie möchtest du gerne in 20 Jahren sein und wie auf keinen Fall ?

Fynn Kliemann: Auf gar keinen Fall möchte ich werden wie Frank Thelen.

Eva: Das kam schnell.

Fynn Kliemann: Auf keinen Fall will ich so ein komischer Motivationscoach werden. Ganz oft erfordert das, was ich angefangen habe, Unternehmertum. Da schaust du dir jemanden wie Frank Thelen an und denkst dir, so willst du auf keinen Fall werden – jemand, der die ganze Zeit nur labert und die Hosentaschen voller Kohle hat. Ich möchte Dinge tun und nicht immer in dieser Verwaltung sitzen. Ich möchte lieber jemand sein, dessen Ergebnisse zu kennst als jemand, der die ganze Zeit über sich redet.

Eva: Welche Rolle spielen Privilegien in deinem Leben?

Fynn Kliemann: Ich bin weiß und komme aus Deutschland, dadurch habe ich extrem viele Privilegien mit auf den Weg bekommen. Auf der anderen Seite wird schnell gesagt, jemand hätte bestimmt geerbt oder musste sich nie um etwas kümmern. Irgendwas suchst du dir immer als Grund, warum andere Leute ein besseres Leben haben als du. Manchmal ist es aber kein Privileg, sondern einfach erarbeitet.

Eva: Gibt es Privilegien, die du gerne gehabt hättest?

Fynn Kliemann: Nein, ich finde nicht. Mir mangelt es ja wirklich an nichts außer an Kopf-Freizeit sozusagen. Aber das hab ich auch selbst zu verantworten.

Zu sehen ist der Screenshot eines Zoom-Gespräches. Fynn Kliemann trägt einen schwarzen Hoodie, eine rote Mütze und lächelt in die Kamera. In einem kleinen Fenster oben rechts sieht man Volontärin Eva-Maria Gey, die ebenfalls in die Kamera lächelt.
Volontärin Eva-Maria Gey im Gespräch mit Youtuber, Musiker und Tausendsassa Fynn Kliemann. (Screenshot: Eva-Maria Gey)

„Ich werde jeden Tag zwei Tage älter“

Eva: Wie reich bist du?

Fynn Kliemann: Ich hab privat überhaupt gar keine Kohle. Es klingt immer blöd aber ich arbeite bei und für verschiedene Unternehmen. Die investieren jedes Jahr 100 Prozent ihres Geldes in die nächste blöde Idee. Ich finde, jeder gute Unternehmer hat gar kein Geld. Weil was macht man denn damit? Geld ist dafür da, um Ideen zu realisieren. Das bedeutet: Wenn ich welches hab, nehme ich es und stecke es sofort wieder in die nächste Sache. Es ist ein immer weiter laufender Faktor.

Eva: Kannst du dir vorstellen deine Musik doch irgendwann mal live zu spielen?

Fynn Kliemann: Es gibt wenige Sachen auf diesem Planeten, bei denen ich ganz genau weiß, dass sie niemals eintreten werden. Und das ist eine davon.

Eva: Woran liegt das?

Fynn Kliemann: Angst, kein Bock, keine Zeit. Aber vor allen Dingen Angst.

Eva: In „Warten“ singst du „Dieser scheiß Workaholic-Kack macht mich noch schneller alt“. Was hält dich jung?

Fynn Kliemann: Tatsächlich hält mich echt nicht so viel jung. Ich werde jeden Tag zwei Tage älter.

Eva: Kannst du wirklich alles?

Fynn Kliemann: Nein, überhaupt nicht (schaut abgelenkt auf den Bildschirm).

Eva: Was kannst du zum Beispiel nicht?

Fynn Kliemann: Mich auf eine Sache konzentrieren (lacht). Also ich kann überhaupt nicht alles, sondern probiere alles. Ich finde auch nicht, dass man alles beherrschen muss, um es zu können. Das ist so ein Riesenproblem unserer Gesellschaft, dass man gleich sagt „ich kann das nicht“. Deswegen macht man nichts und deswegen weiß man nicht, ob man darin nicht doch gut wäre. Ich würde nicht sagen, dass ich alles kann oder dass ich irgendetwas nicht kann. Ich bin in keiner Sache besser als alle anderen aber ich bin auch in nichts so schlecht, dass ich das nicht machen würde.

„Man optimiert sich selbst, indem man glücklich ist“

Eva: Welches ist dein Lieblingsschimpfwort?

Fynn Kliemann: Die meisten sind viel zu dolle. Wenn du dich mit deinen Kumpels beschimpfst, ist es immer richtig schnell viel zu doll. Vermutlich Lappen.

Eva: Wenn du ein Tier wärst, welches wärst du?

Fynn Kliemann: Möwe.

Eva: Wenn du für immer nur noch ein Lied hören könntest, welches wäre es?

Fynn Kliemann: Sag‘ ich dir sofort. (sucht während des Interviews ein Lied und spielt es direkt an) „Good morning“ von Ralph Castelli.

Eva: Woran bist du zuletzt gescheitert?

Fynn Kliemann: An mehreren Baubehörden in verschiedenen Bundesländern.

Eva: Zum Abschluss noch eine Frage von Instagram: Das linksprogressive Lager hat sich eigentlich darauf geeinigt, dass Selbstoptimierung kacke ist. Prallt so eine Kritik an dir ab?

Fynn Kliemann: Erstmal kann man sagen, das linksprogressive Lager einigt sich auf gar nichts. Die einigen sich darauf, dass sie sich generell nicht auf irgendwas einigen können. Selbstoptimierung kannst du interpretieren wie du möchtest. Ich sehe es so: Man optimiert sich selbst, indem man glücklich ist. Und was soll daran schlecht sein? Jemand anderes sieht Selbstoptimierung als Form von absoluter Performance. So sehe ich das nicht. Mein Leben zu optimieren, bedeutet für mich es besser zu machen, in welcher Form auch immer. Also mehr Zeit für Familie, die Freundin, den Hund, eine Tischtennisplatte. Das ist für mich alles Selbstoptimierung. Seinen Tag so zu gestalten, dass man möglichst viel Gutes für sich tut, ist pauschal erstmal nicht schlecht. Und da ich mich selbst zum linksprogressiven Lager zählen würde, dem aber widerspreche, kann man nicht sagen, dass wir uns geeinigt haben.

„NUR“ erscheint am 17. Dezember 2021 und kann hier bestellt werden.

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