Ich kann nicht mitkommen, ich muss Sütterlin üben!

Volontärin Julia Grunwald hat sich ein ungewöhnliches Hobby zugelegt – Sütterlin schreiben. Was das ist und wie die ersten Versuche liefen, verrät sie uns.

Sütter-was? Ja, auch ich konnte zunächst nichts mit dem Begriff der Sütterlinschrift anfangen. Schade eigentlich, dachte ich mir. Immerhin habe ich Germanistik studiert und könnte doch mal was Neues über das deutsche Schriftsystem lernen. Gedacht, getan. Über das Format „Süttember“ des Vereins für Deutsche Sprache bestellte ich mir ein Schreibheft, mit dem ich die altdeutsche Handschrift selbstständig erlernen konnte. Was mich so richtig erwartete, wusste ich zwar nicht. Aber ein bisschen Neugier schadet ja nie.  

Pünktlich zum Herbstbeginn kam das Heft bei mir an. Zunächst mit einer großen Ernüchterung. Das, was in dem Heft stand, war Deutsch und ich konnte es nicht lesen, nicht einmal ein kleines bisschen. Sieben Jahre Russischunterricht haben dafür gesorgt, dass mir selbst das kyrillische Alphabet vertrauter war als die altdeutsche Schreibschrift.

Doch die Enttäuschung verwandelte sich bei mir sehr schnell in Motivation. Wenn ich Sütterlin schreiben und lesen könnte, hätte ich immerhin eine richtiges Alleinstellungsmerkmal und könnte andere damit beeindrucken. (Spoiler: Meine Freunde finden meine mittlerweile vorhandenen Sütterlinskills nur halb so beeindruckend wie ich. Aber egal, zurück zum Thema.)

Bevor es also mit den Schreibübungen, die mich an meine Grundschulzeit erinnerten, losging, befasste ich mich erst einmal damit, was ich da überhaupt lernen wollte. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten: Stahlfedern und ein stark künstlerisch angehauchtes Schreibbild im 19. Jahrhundert erschwerten den Schülerinnen und Schülern das Erlernen der Schrift. Die Stahlfedern waren zu hart, die ausgeprägten Ober- und Unterlängen der Buchstaben sahen schön aus, waren aber nicht leicht zu erlernen. Pädagogen und Schriftkünstler begannen, nach Lösungen für dieses Problem zu suchen. Einer davon war Ludwig Sütterlin, der Begründer der Sütterlinschrift. Er entwickelte 1911 eine Ausgangsschrift, die das Erlernen der Schreibschrift in der Schule erleichtern sollte. Sütterlin wurde nicht nur mit einer leichter zu bedienenden Feder geschrieben. Auch die Formen der Buchstaben waren von Herrn Sütterlin vereinfacht und verbreitert worden. Ober- und Unterlängen, wie zum Beispiel beim G, reduzierte er. Mit Erfolg: Seine Schrift setzte sich durch und wurde zwischen 1914 und 1941 von Millionen Schülern gelernt. Bis ein NS-Erlass die Verwendung der Schrift untersagte.

Und nun saß ich im Jahr 2021 in meiner Wohnung und widmete mich mit einem skeptischen Interesse der alten und vergessenen Sütterlinschrift. Skeptisch deswegen, weil ich mir zunächst nicht sicher war, ob ich die Buchstaben jemals schreiben und lesen könnte. Begonnen habe ich mit den Buchstaben „n“, „i“ und „m“. Überraschenderweise gelangen mir die ersten Schreibversuche ganz gut. Schnell schrieb ich ganze Wörter. Es folgten vollständige Sätze. Und mit jeder Zeile, die ich schrieb, machte mir das Sütterlin mehr Spaß. Ich war richtig angefixt. Konnte den Stift kaum noch aus der Hand legen und verbrachte meine Freizeit zu einem großen Teil vor dem Schreibheft.

Gut, ich muss zugeben: Angeben kann ich mit meinen neuen Schreibfähigkeiten kaum und auch im Alltag wird mir Sütterlin wohl eher nicht helfen. Dennoch ist es ein schönes Gefühl, sich mal wieder mit etwas Neuem und Unbekanntem beschäftigt zu haben. Ein Blick über den Tellerrand hinaus muss also nicht immer zweckmäßig und sinnvoll sein. Es reicht auch, wenn er Spaß macht. 

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