Gendern – Was nicht ist, kann noch werden

Aus einer Diskussion unter Redakteur:innen heraus entstand eine „Freie Presse“-Richtlinie zum Gendern. Sie ist ein Anfang, findet Volontärin Eva-Maria Gey. Das letzte Wort ist hier aber noch nicht gesprochen.

Frauen und Männer werden in der Sprache gleich und auf Augenhöhe behandelt. Dabei soll die Sprache aber verständlich und lesbar sein und nicht im Lesefluss gestört werden. So lautet die Richtlinie der Freien Presse. Hier und da haben Kolleg:innen in Konferenzen angeregt, die Verwendung des generischen Maskulinums zu überdenken, andere positionierten sich klar dagegen. Im September einigte man sich schließlich auf Doppelnennungen, „dort wo es sinnvoll ist“. Bedeutet: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Zuhörerinnen und Zuhörer, und so weiter. Ersatzformen wie Teilnehmende statt Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehen auch klar. Binnenschreibweisen sind nicht erwünscht.

Chefredakteur Torsten Kleditzsch erinnert sich, dass die Richtlinie spontan aus einer Debatte zur Mittagskonferenz entstand. Zur Erklärung: Mittags treffen sich die Redakteur:innen online, um die Print-Ausgabe und das Online-Game des aktuellen Tages zu besprechen. Standpunkte wurden in der besagten Diskussion ausgetauscht und im Anschluss setzte sich die Chefredaktion mit dem Verlag und der Geschäftsführung zusammen, um die Richtlinien zusammenzufassen. Zuvor gab es dazu keine einheitliche Regelung.

Ich bin vertraut mit der Leser:innenschaft unserer Zeitung und verstehe damit auch, wie diese Richtlinie zustande kommt. Doch das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen. Persönlich bin ich – wie man sieht – klare Verfechterin der Binnenschreibweise. Häufig gerate ich – mit voller Absicht oder aus Versehen – in mitunter hitzige Diskussionen über „diese Gender-Debatte“.

Die Basics

Grundsätzlich ist jeder Text gegendert. Mit Gendern ist jedoch in dieser Diskussion eine Schreibweise abseits des generischen Maskulinums gemeint. Folgende Möglichkeiten gibt es: das generische Maskulinum, Doppelnennungen, neutralisierende Formen oder die im Volksmund als „Gendern“ bekannten Schreib- und Sprechweisen mit Binnen-i, Genderstern, etc.

Verfechter:innen des generischen Maskulinums berufen sich oft auf das Argument, dass alle mitgemeint sind. Die Genderlinguistik zeigt eindeutig: mitgemeint ist nicht mitgedacht. Werden beispielsweise Menschen nach ihren Lieblingssängern gefragt, werden nahezu ausschließlich Sänger, also Männer genannt. Das fällt also schon mal flach. Doppelnennungen bilden zumindest auch Frauen ab, Geschlechter abseits von männlich und weiblich bleiben allerdings auch hier unberücksichtigt. Zudem wird unnötigerweise die Kategorie Geschlecht im Hirn aktiviert.

Neutralisierende Formen wie Teilnehmende oder Studierende bilden einen gemeinsamen Nenner für viele Gender-Gegner:innen und -Befürworter:innen. Hier werden glücklicherweise nicht nur Männer und Frauen berücksichtigt, sondern auch nicht-binäre und andere Geschlechter. Das ist nett und ein sehr guter Anfang. Schade nur, dass sich nicht alle Bezeichnungen neutralisieren lassen. Außerdem kommt es dabei zum sogenannten Male Bias. Das bedeutet, dass neutralisierende Bezeichnungen in Studien zwar sowohl Männer als auch Frauen abrufen, allerdings immer noch mit klarer Überrepräsentation der Männer. Schönen Dank, Patriarchat!

Bleibt noch die „gegenderte“ Form. Wichtiger Vorteil ist auch hier, dass nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht abgebildet werden. Studien haben gezeigt, dass Frauen sich öfter für Jobs bewerben, wenn die Stellenanzeigen gegendert sind und diese Jobs dann auch tatsächlich öfter bekommen. Das klingt für mich nach einem nicht-nur-sprachlichen Schritt zum Abbau von Diskriminierung.

Auf grünem Hintergrund steht in gelber Schrift: Du Kannst das hier lesen aber der Genderstern stört deinen Lesefluss? Obwohl die Buchstaben innerhalb der Wörter vertauscht sind, lässt sich der Satz einfach lesen.
Wer Kfz-Zulassungsstelle sagen kann, dessen Zunge bleibt mit Sicherheit auch bei der Binnen-Sprechweise knotenfrei. (Bild: Eva-Maria Gey)

Häufig genanntes Gegenargument ist, wie auch in der Richtlinie der Freien Presse, die beeinträchtigte Lesbarkeit. Gegenderte Texten lassen sich jedoch entgegen vieler Erwartungen kognitiv nicht signifikant schwerer verarbeiten als die im generischen Maskulinum formulierten. Und mal ehrlich: Wer Kfz-Zulassungsstelle sagen kann, dessen Zunge bleibt mit Sicherheit auch bei der Binnen-Sprechweise knotenfrei. Und der Mensch ist ein Gewohnheitstier, also nichts wie los.

Was soll also die ganze Diskussion? Wir gendern, haben uns in spätestens zwei Monaten dran gewöhnt und unsere Sprache bildet plötzlich alle Menschen der Gesellschaft ab. Leider ist das nicht so einfach. Letztendlich ist die Entscheidung für oder gegen die verschiedenen Schreib- und Sprechweisen jedem und jeder selbst überlassen. Niemand wird jemals gezwungen werden diese oder jene Sprech- und Schreibweise zu verwenden.

Wie geht es weiter?

„Ich halte die Richtlinie für passend in unserem Verbreitungsgebiet“, sagt Torsten Kleditzsch im Gespräch mit mir. Es würde so geschrieben wie die meisten Leute in der Region sprechen. Dass sich die Binnenschreibweise durchsetzt, kann sich Torsten Kleditzsch aus jetziger Sicht nicht vorstellen. Er befürchtet, dass sich die Fronten weiter verhärten. Allerdings beobachtet er auch die unterschiedlichen Ansichten der Generationen.

Dass Binnenschreibweisen mehr als zwei Geschlechter abbilden, hält der Chefredakteur für ein Argument für diese Schreibweise. Sie könne einer gesellschaftlichen Gruppe möglicherweise in ihrer Identität und Repräsentation helfen. Allerdings würde sie in der gesellschaftlichen Debatte zur weiteren Polarisierung führen. Die Abbildung von mehr als zwei Geschlechtern kam in der anfangs besagten Absprache von Chefredaktion, Geschäftsführung und Verlag nicht zur Sprache.

Natürlich bezieht sich die Diskussion nicht allein auf Sprache, sondern ist auch eine Identitätsdebatte. Klar ist auch, dass Sprache sich entwickelt. „Medien haben nicht die Aufgabe, Sprache von sich aus zu entwickeln“, sagt der Chefredakteur, „sie spiegeln stattdessen das Leben wider.“ Der sprachlichen Entwicklung wolle die Freie Presse folgen und auch künftig Debatten führen.

Für mich ist es eine leichte Entscheidung: Es tut mir nicht weh, hier und da einen Doppelpunkt zu setzen oder eine Sprechpause zu machen und ist eine sehr einfache Möglichkeit, um möglichst viele Menschen abzubilden. Klar, man könnte es sicherlich auch irgendwie „schöner“ formulieren aber solange keine:r eine bessere Idee hat, heiligt für mich ganz klar der Zweck die Mittel.

Fakt ist, dass es nicht den goldenen Mittelweg gibt, der alle Vorteile vereint. Letztendlich muss die Gesellschaft gemeinsam ausdiskutieren, ob und inwiefern sich Sprache verändert. Und wer weiß, vielleicht schleicht sich ja in den kommenden Jahren das ein oder andere Binnen-i oder ein Genderstern in die Freie Presse.

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